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Deutsch als Fremdsprache

Interview mit Gerhard Ruiss

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Oswald von Wolkenstein

 

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Hans Pfeiffer:

Oswald von Wolkenstein – spätmittelalterlicher Dichter, Sänger, Komponist, ist weit herumgekommen in seinem Leben, erzählt auch in seinen Liedern davon, verstorben im Jahr 1445, also in der Zeit, als der Buchdruck erfunden wurde. Oswald von Wolkenstein – seine Werke sind aber alle noch, nur noch … nur handschriftlich überliefert. Also er ist voll und ganz ein Mann des Mittelalters, ein Ritter, der die Neuzeit nicht mehr erlebt hat. Ja, und im Allgemeinen sind es Altgermanisten, die sich mit solchen Figuren beschäftigen. Sie haben die Gedichte, ich glaub' sogar, das Gesamtwerk von Oswald von Wolkenstein, nachgedichtet – das ist erschienen in drei Bänden.1 Sie haben auch einzelne Gedichte oder Lieder von ihm dann gesungen mit modernem Arrangement. Auf zwei CDs 2 wurden die … diese von Ihnen gesungenen Nachdichtungen veröffentlicht. Wie sind Sie dazu gekommen? Und können Sie was über die Arbeit an diesem Projekt erzählen?

 

Gerhard Ruiss:

Ich hab' den Oswald von Wolkenstein schon gekannt, seine Biographie. Aber ich bin keiner, der besonders an Biographien interessiert ist. Es gab, glaub' ich, sogar zwei Biographien da schon, eine reißerischere und eine wissenschaftlichere, und die haben mir die historische Figur, die für Südtirol umstritten und bedeutend war … nicht besonders interessiert, obwohl die Zeit – es ist alles spannend, was da passiert, aber, wie gesagt, ich bin biographisch nicht interessiert. Entdeckt habe ich den Wolkenstein als Lyriker bei einer Geburtstagsfeier meines nächstälteren Bruders, der übrigens – Reinhold Ruiss, der der Komponist der Neuvertonungen ist. Da hat ein Mittelalter-Ensemble zu seinem Geburtstag ein Lied gespielt, eben von Oswald von Wolkenstein. Und da geht’s um die Fastnacht – Es nehnet gen der fasenacht – und da singt der Sänger von seiner Verletztheit, durch die … durch den Verrat seiner Geliebten, die ihn da ausgesetzt hat, er ist der Folter entkommen und er geht jetzt mit seiner Krücke und schmiegt sich an die Krücke und die Krücke schmiegt sich an ihn, und [er] sagt den Leuten: „Lacht doch nicht! Das ist meine neue Geliebte. So ist es.“ Und für mich, also das ist so: annehmen, was ist, ja, dieses Annehmen, diese Nicht-Verbittertheit, dieses „Ich bin weder Gegenstand der Trauer noch des Spotts. Sondern ich hab' eine andere, neue Geliebte. Ich schmieg' mich an sie und sie schmiegt sich an mich. Das ist meine Versehrtheit“. Aber wie könnte man das heute sagen und hab' wirklich ewig lang drüber nachgedacht.

Das hat sich manifestiert darin: Ich hab' ein kleines Häufchen an … Reklamausgabe, eine Übersetzung, dann hab' ich eine Auswahlübersetzung, dann hab' ich ein paar so Notizen gehabt oder so. Das hab' ich bei mir rechts von der Tastatur liegen gehabt am Schreibtisch und hab' immer wieder einmal hineingeschaut und hab' immer so überlegt: Ja, wie könnte das geh'n, wie könnte ich nur diesen Refrain – es ging nur um diesen Refrain – wie könnte man das heute sagen, ohne ihn zu verfälschen, sondern eigentlich authentisch zu bleiben. Aber trotzdem sozusagen von einer toten Sprache in eine lebende Sprache übersetzen und – dann nach ungefähr einem Jahr immer wieder Denkanläufe nehmen oder so – oder Impulse versuchen, hab' ich dieses kleine Häufchen genommen, hab's von der rechten Seite links in die Rundablage geschmissen, also in den Papierkorb, und in dem Augenblick, wo ich das wegwerfe, dieses kleine Päckchen, wo ich das wegwerfe, habe ich einen Impuls – So könnte es gehen! – und hab' die ersten zwei Zeilen geschrieben. Und dann gibt's immer dasselbe Verfahren bei mir, und dann gibt's also ein visuelles ... hält das visuell stand? Hält das im Vortrag stand? Also nach verschiedenen Kriterien. ... Und das war der Beginn: der Übersetzungs- … der Nachdichtungstätigkeit, der Übersetzungstätigkeit von 134 Liedern, zum Teil - manche mit zehn Seiten Paarreimform, ich weiß nicht was alles - jedes Erschwernis, das man haben kann – und das waren die ersten zwei Zeilen. Das ging dann insgesamt sieben Jahre so, also ohne die CDs, immer wieder Anläufe, immer wieder probiert und immer wieder. Und es ist von einem Band – es war nie geplant, alles zu machen, es ist dann gewachsen.

Es ist gewachsen und vor allem, weil mich der Lyriker so fasziniert hat, und es gibt ja … Die Wissenschaft redet ja davon, dass das der bedeutendste deutschsprachige Lyriker ist zwischen Walther von der Vogelweide und Johann Wolfgang von Goethe. Und das ist, glaub' ich, zu Recht so. Das ist ein unglaublicher Virtuose, ein unglaublicher Sprachvirtuose, und irgendwann einmal so mitten drin oder im zweiten Drittel hätt' ich eigentlich gar nichts mehr nachdichten müssen, weil – ich hab' das alles restlos verstanden, also wenn er im Original schreibt – ich hab's so nehmen können. Nur, da ging's ja auch darum sozusagen: Kann man das herüberholen ins Jetzt, und zwar als Dichtung? Nicht als Übersetzung, nicht als Ausdeutung, nicht als – was auch immer. Und nicht als – keine Ahnung – mit bestimmten Teilaspekten, sondern wirklich als Äquivalente der Lyrik, auch – wenn man will – Songtexte. Und das war für mich die große Herausforderung: nichts zu fälschen, den nicht zu modernisieren. Das ist ja auch die große Gefahr: Man holt ihn dann so in die heutige Zeit und alles ist dann plötzlich sozusagen so heutig. Nein, nicht, sondern: Finde eine Sprache, die ich mit ihm gemeinsam habe, das war wirklich so die Hauptbeschäftigung: eine gemeinsame Sprache zu finden und ihn weder zu verfälschen noch – also, ich hab' den Rhythmus beibehalten, ich hab' die Lautlichkeit beibehalten, ich hab' die Reimformen beibehalten, ich hab' sie nur leicht variiert manchmal. Ich hab' ihn auch nirgends zwangsmodernisiert, weil – da gab's auch Beispiele, und genau das alles wollt' ich überhaupt nicht machen. Ich wollte den wiedergeben, so wie ich ihn im Original vorgefunden habe. Und das war für mich faszinierend, weil – das ist 600 Jahre alt.

Und ich bin mir vorgekommen wie ein – ich weiß nicht – wie ein, ja, Schatzsucher, wie ein ... einer, der plötzlich sozusagen jetzt ägyptische Gräber entdeckt, die noch unentdeckt sind, oder – was auch immer, also – ein Archäologe, ein Spracharchäologe, und ich hab' das faszinierend gefunden, das hat mir die Gelegenheit gegeben, zum Beispiel mit jemandem am Pferd zu sitzen und nach Paris einzureiten, in diese Zeit. Ja? Und die Gerüche, die Farben, die Klänge, die Gedanken, also alles das zu haben und das transferieren zu können. Da gibt’s ein paar Effekte, die erstaunlich sind. Das ist unglaublich modern. Ist unglaublich modern, was der schreibt. Der setzt sich mit Kirche, Gott, mit der Herrschaft, mit allem auseinander, ist ein großer Spötter einerseits, auf der anderen Seite ein großer Liebender, und hat – und das ist, glaub' ich, der Glücksfall des Oswald von Wolkenstein, der hat alle diese strengen Formen hinter sich gelassen. Also, die Hohe Minne ist bei ihm ganz woanders gelandet, die Niedere Minne auch. Der besingt die Leidenschaften und der besingt die Sexualität. Der besingt seine Frau. Es ist nicht so – nur die hohe Herrschaft oder so. Also der macht Dinge, die alle nicht – eigentlich nicht gehen, und der ist in seinem … also die Liebe ist überhaupt - sozusagen - die stärkste Kraft der Welt. Da gelten auch die Standesgesetze nicht. Da hat die Magd das Recht, der Herrin zu sagen: „Ah, ist nicht so wichtig. Mein Knecht, den ich liebe, ist wichtig. Du kannst mir mit wem auch immer du willst eine Hochzeit zahlen, will ich nicht. Ich will meine Liebe haben.“ Also, dieser Selbstbehauptungswille, der da das erste Mal auftaucht, das Ich, das ganz massiv … auch das literarische Ich, das dieser Wolkenstein verwendet, das leider aber zu dieser grandiosen Verwechslung geführt hat, dass das auch zugleich seine Biographie ist. Und der Oswald von Wolkenstein war in erster Linie ein großer Lyriker. Also, es ist wirklich unglaublich, was man da finden konnte, und ich hab' dann irgendwann im Lauf der Jahre den Ehrgeiz: „Jetzt will ich alles! Ich will ein Lebenswerk abschließen“. Meines werde ich nicht abschließen können, das wird sich nicht ausgehen, das ist ein Wettlauf mit meiner Lebenszeit, aber das vom Oswald von Wolkenstein, das Hinterlassene, kann ich abschließen.

Und ich bin froh, dass ich das gemacht habe, weil ich wahrscheinlich für mich, für mein Leben selber auch so ein … wahnsinnig viel gelernt habe und ein einziger … wirklich auch ein einzigartiges Erlebnis habe und auch diesen Oswald von Wolkenstein auf eine andere Ebene gebracht habe als nur – „nur“ sag' ich einmal bei allem Respekt vor der Wissenschaft – aber nur ihn der wissenschaftlichen Ausdeutung zu überlassen. Es gibt auch eine - und das hab' ich zum ersten Mal kennengelernt, es gibt eine – wie soll ich sagen – eine Verständigung in den Sprachen von Poet zu Poet. Die versteht man nicht, wenn man wissenschaftlich an die Dinge herangeht. Die versteht man nur, wenn man als Lyriker sich mit einem Lyriker beschäftigt. Ich hab' immer versucht zu erspüren: Was wollte er da? Was wollte er da? Was kann das sein? Und dann kommt man … ich könnte viele Beispiele erzählen, aber eines ist relativ wichtig: Man kann zum Beispiel etwas nachdichten, da denkt man sich, na ja, das besteht jetzt nur aus Anrufungsformeln von Heiligen und so Phrasen und so, bis man dann draufkommt, nein, nein, da häuft sich etwas. Die Bedeutung des Augenblicks häuft sich in diesem Gedicht. Und dann kommt man drauf: Nein – der fleht um sein Leben vor der bevorstehenden Schlacht. Und dann kriegt das Gedicht eine völlig andere Dramatik. Da hat es auf einmal sozusagen eine andere Gültigkeit, dann weiß man, was er will, und dann kann man sozusagen auch in der richtigen Form nachdichten. Und man kann's natürlich immer nur sehr formalisiert und wörtlich übersetzen, und dann funktioniert's schon deshalb nicht, weil „Liebe“ im Mittelhochdeutschen etwas ... so viel Verschiedenes, so unterschiedlich Anderes heißen kann – und darum stimmt übrigens der Vorwurf der – sozusagen – der Herz-Schmerz-Dichtung nicht – „Liebe / Hiebe / Triebe“ und so weiter – stimmt nicht, wenn man sie nicht … wenn man nicht verstehen kann, wie Liebe eingesetzt ist als Terminus. Und es hängt immer in dieser Dichtung davon ab: Was ist die Umgebung? Die Umgebung entscheidet darüber, um was es wirklich geht, worum es wirklich geht.

Und das hat mich fasziniert, also das ist für mich auch sozusagen: Sprache kennenlernen, sich versenken, sich vertiefen, eintauchen und damit auch Welt kennenlernen, eine Welt, die so nicht mehr steht. Das ist ja das Großartige an der Literatur. Die vielleicht auch nie so stehen wird, ja, aber die in diesem Stück Literatur so existiert. Und das ist natürlich sozusagen, also ist auch ein Geschenk. Ich hab' das auch als Geschenk – natürlich als Fluch eine Zeitlang, weil ich nicht loslassen konnte – aber auch als Geschenk erlebt.

1 Gerhard Ruiss / Oswald von Wolkenstein. Folio Verlag, Wien • Bozen.
Band I (2007): Und wenn ich nun noch länger schwieg'
Band II (2008): Herz, dein Verlangen
Band III (2010): So sie mir pfiff zum Katzenlohn
Gesamtausgabe in drei Bänden: 2011

2 Ruiss / Wolkenstein / Projekt Nr. 1 (Wien 2017): Liebeslieder
Ruiss / Wolkenstein / Projekt Nr. 2 (Wien 2021): Gassenhauer

 

 

Impressum  Letzte Änderung:  So., 7. Jan. 2024

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