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Deutsch als Fremdsprache

Interview mit Gerhard Ruiss

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Gedichte und Form

 

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Hans Pfeiffer:

Sie haben in Ihrer Sammlung „Sänger im Bad“ – hab' ich ein Gedicht gefunden, das heißt

in form 1

wichtig ist
daß man die
form bewahrt
wichtig ist
daß man die
form behält
wichtig ist
daß man die
formen wahrt
wichtig ist
daß man sich
an die formen
hält.

Ich nehm' an, das bezieht sich eher auf die gesellschaftlichen Konventionen jetzt als auf die Form von Gedichten, aber meine Frage ist jetzt die: Welche Rolle spielt die Form in Ihren Gedichten? Ich hab' den Band in die Hände bekommen lieber, liebste, liebes, liebstes,2 und wenn man das so zum ersten Mal in die Hand nimmt, dann hat man den Eindruck, na ja, das sind so lose verstreute Einfälle, und wenn man dann ganz hinten liest, dann erfährt man: „Sehr bewusst hingegen stellt Gerhard Ruiss das Material seiner Lyrik, die einzelnen Worte, Lautfolgen und deren Poesie [sollte heißen: „Prosodie“] in den Vordergrund, womit er sich in die Traditionslinie der Konkreten Poesie einreiht. Diesem Umstand zollen die Trennblätter Tribut, die einzelne Worte aus den jeweils folgenden Abschnitten herausgreifen und als Material ausstellen. Jedes Wort wurde 26-mal zu Papier gebracht, sodass es einen Körper aus Graphit gewinnen konnte.“

Ich hab's nicht nachgezählt, aber ich nehme an, das ist so. Also: Welche Bedeutung hat die Form?“

 

Gerhard Ruiss:

Grundsätzlich ist es so, es erscheint kein Lyrikband von mir, der nicht durchkomponiert ist. Denn jeder Band von mir folgt einer genauen Konzeption, und in diesem Fall ist es so, dass nur vordergründig die Alphabetisierung den Ausschlag gegeben hat für die Reihenfolge der Gedichte, im Grunde genommen hab' ich die Titel danach ausgerichtet, wie ich die Gedichte gruppieren wollte. Also es gibt eine Entwicklungsgeschichte dieser Gedichte in diesem Band und es gibt auch eine – wie soll ich sagen – es gibt insofern eine Parallele zur Konkreten Poesie, dass sie vielleicht deutlicher … kommt sie da zum Ausdruck als in anderen Gedichtbänden, als es mir immer ein Anliegen war bei meinem Wiedereintritt in die Lyrik, die Gedichte auszunüchtern. Also nicht, sozusagen, sie nicht anzureichern, sie nicht aufquellen und aufschwellen zu lassen, sondern zu reduzieren auf das Wesentliche. Das macht natürlich die Konkrete Poesie, aber ohne dass es mir darum ging – ich wollte kein Konkreter Poet sein und will auch keiner … in dem Fall, für dieses ...

 

Hans Pfeiffer:

Wie würden Sie – entschuldigen Sie, dass ich Sie kurz unterbreche – wie würden Sie die Konkrete Poesie ganz kurz definieren, beschreiben? Was ist Konkrete Poesie?

 

Gerhard Ruiss:

Konkrete Poesie konzentriert sich auf ganz, ganz Weniges, auf ganz viele Substantiva, auf ganz Weniges, also sozusagen auf … das vielleicht sogar in einem anscheinend losen Zusammenhang aufgezählt wird, also das ist Reduktion, maximale Reduktion, würd' ich sagen, ist die Konkrete Poesie, bis an diese Grenze, wo's noch aufhört, Information … oder einen Gehalt zu haben. So weit bin ich nicht gegangen, aber es ist der Weg, der Weg ist ein ähnlicher, und für dieses Buch gilt das und für andere auch. Es folgt immer … die Sammlung selber der Gedichte, die sind immer dem Thema zugeordnet, in dem Fall mit lieber, liebste, liebes, liebstes, da geht’s halt um ganz viele Kategorien der Beziehungen, zu Dingen auch oder zu Menschen oder untereinander von Menschen, also um einen anderen Liebesbegriff auch, um einen größeren oder einen mehrschichtigeren, und das sind alles Gedichte zum Thema. Das ist nicht … jetzt irgendwie, ich hatte gerade so und so viele Gedichte – ich hab' sowieso immer viele Gedichte, also ich kann diese Auswahl treffen. Oder auch ganz konkret auf einen Band hinschreiben. Das ist konkret hingeschrieben worden und auch in diese Überlegung der Gruppierung, der Alphatbetisierung – jetzt kann man natürlich sozusagen dem auf den Leim gehen: dass es halt hier um eine alphabetische Abfolge geht. Nein, es geht um eine inhaltliche. Es folgt einer Dramaturgie und kommt auch und soll auch manchmal so läppisch und nebenher daherkommen, so ganz reduziert auf Weniges und vielleicht sogar Entscheidendes. Kann sein, dass man dem nicht folgen kann, weil natürlich die kurzen Gedichte ein Problem haben: Sie sind so schnell vorbei. Also sie sind schneller vorbei, als man sie direkt fassen kann. Obwohl man sie ja gelesen hat. Und … aber für mich ist dann wichtig: Gibt's so ein Nachhaken dieses Gedichts, nicht? Man hat es vielleicht gelesen, husch, so wie man halt – sozusagen – diagonal liest, weiter, weiter, weiter. Und da hakt sich dann was fest im Nachhinein. Und dann blättert man vielleicht zurück. Also dieser Gedichtband folgt genauso einem Konzept wie eigentlich jeder einzelne der Kanzlergedicht-Bände.

Ich hab' überhaupt alles, was ich in der letzten Zeit publiziert habe, weil … und das war der Ausgangspunkt … der entscheidende Ausgangspunkt war ja, von einem Kollegen einen Gedichtband in die Hände gekriegt, Michael Gutenbrunner,3 Guttenbrunner, politische Gedichte, gestorbener Kollege – da hab' ich mir gedacht, das geht nicht. Das geht nicht mehr, man kann keinen Gedichtband, auch mit meinem Namen, und da steht dann: „Politische Gedichte“. Und dann sind das noch Gedichte, die fast illustratorischen Charakter haben, zu historischen politischen Ereignissen verfasst. Das geht so nicht, so kann man nicht politisch dichten heute. Ja, und Agit-Prop ist auch gewesen und alles Mögliche ist gewesen, ich muss einen neuen Zugang finden, weil – sozusagen – die politischen Verhältnisse sind nicht vorbei, die gibt’s. Und es gibt die besseren und die schlechteren. Und dann beginnt man halt auch die Form zu überlegen. In welcher Form kann ich dann politische Gedichte schreiben? Und das zieht sich bei mir durch alles.

Und ich sag' nur ein Beispiel, weil's auch so ein schönes Spiel ist damit in der Konzeption jedes einzelnen Bandes. Band drei der Kanzlergedichte ist …. dann arbeite ich mit diesen Größenrelationen. Band drei der Kanzlergedichte hat zum Beispiel die Kapitel, da gibt’s – ich glaub' – zwölf Kapitel oder so, und da ist die Kapitelziffer … ist immer ganz fett und groß auf dem Deckblatt. Und der Inhalt des Kapitels ist relativ klein, fast nebenbei. Also das heißt, ich dreh' da was um in der Bedeutung: Die Nummerierung ist ganz wichtig und der Inhalt ist ganz nebenbei. Und das ist natürlich nicht so. Und genau das aber – sozusagen – erspüren können, finden können, suchen können oder so, das ist – sozusagen – ist auch ein Konzept, ein literarisches Konzept, hat was mit der Form zu tun und ist aber jetzt nicht so – keine Ahnung – eine große neue Kategorie, sondern es ist halt … es ist halt mehr Idee dahinter als nur „Ich schreibe ein Gedicht nach dem nächsten und manche sind politisch und manche sind Liebesgedichte ...“. Also es geht um mehr.

Es geht mir darum: Warum soll's dieses Buch überhaupt geben? Und dass ich Gedichte schreibe – normal schreibe ich halt Gedichte. Und so geht’s mir eigentlich mit jeder Veröffentlichung. Die nächste wird zum Beispiel – das ist ein Projekt, das ich mit dem Klaus Zeyringer 4 gemeinsam gemacht habe, das heißt „Reimverbote und andere Schreibaufträge“, erscheint jetzt im April, und da geht’s auch um eine ganz bestimmte Form, da geht’s um Verbotsvorgaben eines Germanisten, eines … Der sagt: „Das darf nicht gereimt werden!“ – sind die Vorgaben, und ich sage dann, wie ich es mache, wie ich's umgehe oder doch einlöse oder nicht einlöse, ich spiel' damit. Das Spiel mit der Form, also auch zum Teil Formvorgaben, und was alles nicht mehr gehen soll und doch geht. Und das ist genauso, das … haben wir nicht vor fortzusetzen, das ist ein Einzelstück, das wird genauso als Einzelstück erscheinen und ein Solitär bleiben. Und das ist der Anspruch, den ich an alles habe und jedes einzelne Gedicht und natürlich an Sammlungen. Und insofern ist mir die Form sehr wichtig, es ist mir bis zur Ausstattung hin die Form sehr wichtig, gelingt nicht immer optimal, weil – manchmal hat man nur Annäherungswerte zu dem, was man sich wünscht, aber … aber sie ist meistens sehr, sehr überlegt. Also sie beruht auf keinem Zufall. Genauso, wo welches Gedicht in welchem Band steht, beruht auch auf keinem Zufall. Und wenn's darüber Irrtümer gibt, macht mir das auch nichts. Für mich ist nur wichtig, dass es da ist, um entdeckt werden zu können.

1 Gerhard Ruiss: Sänger im Bad. edition selene 2001, Seite 55

2 Gerhard Ruiss: lieber, liebste, liebes, liebstes. Andichtungen. Literaturedition Niederösterreich 2021

3 Michael Guttenbrunner (1919 – 2004): österreichischer Dichter und Schriftsteller

4 Klaus Zeyringer: geboren 1953 in Graz, Germanist und Literaturkritiker, Professor für Germanistik an der Universität Angers

 

 

Impressum  Letzte Änderung:  So., 7. Jan. 2024

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