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Deutsch als Fremdsprache

Interview mit Gerhard Ruiss

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Dichtung und Politik

 

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Hans Pfeiffer:

Sie haben in einem Fernsehinterview aus dem Jahr 2021, das man übrigens auch auf YouTube noch sehen kann, 1 - haben Sie erklärt, Literatur ist etwas Langlebiges, Politik ist kurzlebig. Sie haben aber als Dichter immer wieder zur Politik Stellung genommen. Also Sie sind bis zu einem gewissen Punkt auch ein politischer Dichter. Ich hab' gefunden ein Gedicht von Ihnen aus dem Jahr 1987 ... mit dem Titel

sozialdemokratie 2

ist die begeisterung
der dienstboten darüber
daß sich zwischen dem herrn des hauses
und einer seiner dienstmägde
ein liebesverhältnis anspinnt
und die empörung darüber
daß er sie schließlich doch nicht heiratet.

Also eine Stellungnahme zur Sozialdemokratie aus dem Jahr 1987. Sie haben dann begonnen mit einer Serie, im Jahr 2005 – bis heute, also jetzt ist erst der letzte Band erschienen der sogenannten Kanzlergedichte. „Kanzlergedichte“ war der erste Band, „Kanzlerreste“ ist der dritte. Sie haben im Nachwort geschrieben, es wird keine weiteren Kanzlergedichte mehr geben – wo Sie ganz konkret aber auch zu politischen Ereignissen oder zu Personen, eben zu den diversen Kanzlern Stellung nehmen. Ich hab' hier eines gefunden zu dem Kanzler Sebastian Kurz, der ja ein Senkrechtstarter war Ende 2017, dann 2021 ziemlich unrühmlich abgetreten ist. Sie haben das kommentiert:

berufsbedingt 3

der kanzler
kommt als erlöser
der installateur
kommt als installateur
der kanzler
geht als kanzler
der installateur
geht als erlöser.

Noch eines – zu Sebastian Kurz:

vertuschen verstecken
davon hat der kanzler nichts gewusst
davon hat der kanzler nichts geahnt
denn hätte er es gewusst
und hätte er es geahnt
er hätte es nie zugelassen
er hätte nie zugestimmt
von anfang an
jetzt weißt dus

Das ist die erste Strophe. Es gibt dann noch zwei weitere.4

Sie appellieren auch in einem Gedicht, das das ich aus „Single swingers“ … also schon ein früherer Gedichtband – Sie appellieren an die Leute, sich eben für Politik zu interessieren, sich damit zu beschäftigen – ein Gedicht mit dem Titel

KANDIDIERT 5

bist du nicht an politik interessiert
interessiert sich die politik ganz besonders für dich
ungestört
wenn gewählt wird
von kritik
vollkommen
unberührt.

Also: Dichtung und Politik. Dieses Verhältnis. Was bedeutet das für Sie?

 

Gerhard Ruiss:

Na, ich versuch' ja in der Lyrik, dem Leben die gültigeren Komponenten abzugewinnen, und das gilt besonders für die Politik. Politik ist ja sehr augenblicksbezogen, sehr opportunistisch, sehr angepasst, auch überzogen, jetzt generell – ich red' immer noch von demokratischen Verhältnissen und man kann ja mit Politik nur gewarnt umgehen angesichts dessen, was Politik in der Geschichte angerichtet hat und was in Schleifen immer wiederkehrt. Das heißt, ich versteh' dann Gedichte auch als die gültigere Dimension als das, was jeweils opportunistisch gerade in die Welt gesetzt wird, und in der Gesellschaft unglaublichen Schaden anrichtet. Wir erleben das gerade wieder. Dass ich aber jetzt keine Kanzlergedichte mehr schreibe, hat einen – also ich schreib' weiter politische Gedichte oder auch politische Gedichte – dass ich jetzt keine Kanzlergedichte mehr schreibe, hat einen einfachen Grund: Ich hab' mich in einem Projekt, in einer Trilogie über zwanzig Jahre mit einer – eigentlich schon so mit einer Vorabendstimmung beschäftigt, wo sich plötzlich etwas zu ändern begonnen hat. Es beginnt nach dem Fall der Mauer, wo ganz bestimmte … wo die Welt in Bewegung gekommen ist und wo auf einmal als politische Repräsentanten und Repräsentantinnen ein völlig neuer Typus aufgetaucht ist, der … einerseits der alte Machtpolitiker, der aber sozusagen nicht mehr so kategorisch aufgetreten ist wie in den klassichen politischen Kategorien, aber trotzdem sozusagen alles auf sich konzentriert hat, also ein Autokrat ist, und andererseits der marktgemachte Politiker, der das Ergebnis eines Marketing ist. Und bei Kurz war es besonders auffällig zuletzt: Die Plakate bei Wahlwerbungen waren doppelt so groß, der Inhalt war die Hälfte vom Bisherigen. Und dann weiß man schon: Da hat sich was geändert. Also weniger Inhalt, viel weniger Inhalt, mehr Präsenz. Und das sind halt politische Phänomene, die mich interessiert haben, also – dort wo's Kanzlergedichte heißt, also – da geht’s um die größte Geltung, könnte auch „Premierministergedichte“ heißen, aber das haben wir hier nicht in unserer Tradition, und da sich damit auseinanderzusetzen – oder auch mit den Präsidenten und Präsidentinnen dieser Welt oder – wie auch immer – also mit denjenigen, die Macht repräsentieren, und sie abzuklopfen auf Gültigkeit, auf Dauerhaftigkeit, auf Substanz.

Und das ist sowieso ein Thema, mich mit der Sprachgebung, mit der öffentlichen und offiziellen Sprachgebung kritisch auseinanderzusetzen. Also ich ... ein Teil meiner Gedichte klopft ja auch die präsentierte Sprache ab. Da will ich ja dahintersteigen und ich will ja hinter die Sprachgebungen steigen und sie abklopfen auf Brauchbarkeit, auf Stimmigkeit, auf Gültigkeit, auf Haltbarkeit – und das alles können Gedichte und das ist für mich sozusagen immer die gleiche Herausforderung. Hältst du stand? Ja, hältst du … hält diese Vorgabe stand? Oder – was kann man aus ihr machen? Wie kann man sie modifizieren, wie kann man sie ändern? Wie kann man sie in die richtige Richtung drehen? Und es ist so wie mit diesem „berufsbedingten“ Kanzlergedicht. Sozusagen – wie kann man das in die richtigen Verhältnisse kriegen? Was hat wirklich Bedeutung und was hat eigentlich keine? Und das ist natürlich ein Dauerthema bei mir: Bedeutungen. Was hat Bedeutung?

Und je nach Lebenssituation haben natürlich ganz verschiedene Dinge Bedeutung. Also wenn Sie schwer krank sind, kriegen plötzlich andere Dinge eine Bedeutung, als wenn Sie bei bester Gesundheit sind. Das ist ganz einfach, je nach Lebenssituation: Wenn Sie in Kriegs- und Krisen- … in Kriegsgebieten und in Krisenzeiten leben, hat auch etwas anderes Bedeutung, als wenn Sie sozusagen mitten in der Prosperität zu Hause sind. Und genau das alles, finde ich ja, das hat sich nicht überlebt. Die Auseinandersetzung ist notwendiger denn je und natürlich: Was soll ich denn anderes wollen als Lyriker als es genau wissen wollen? Lyrik ist für mich die analytischste Form. Ich will's einfach wirklich genau wissen, auch mit mir. Und das größte Ärgernis ist, wenn mir etwas nicht gelingen will. Wenn ich eine Ahnung davon habe, was das … was ich da fassen möchte, und es gelingt mir nicht. Und es kann natürlich bedeuten, dass ich an diesen kürzesten Gedichten manchmal wirklich jahrelang arbeite, das hat kein Verhältnis natürlich, das hat kein Verhältnis, aber der Gedanke stimmt dann. Der stimmt dann so, und ich habe so ein Verfahren mit mir, ich überprüf' ja meine Gedichte ununterbrochen. Ich nehm' immer so ein Konvolut, ich hab' da wieder auch eines liegen, in jeder Straßenbahnfahrt oder egal wo immer, Lärm, Außeneinwirkung, andere Situation, andere Gerüche, alles was man so wahrnimmt, und dann schau' ich immer: Hält meine Konzentration stand, halten die Gedichte stand? Kann ich selber nachvollziehen, was ich da festgehalten habe? Hält das für mich? Hat das für mich auch Bestand oder war das eine Laune oder wie so eine Fingerübung oder was auch immer, und bevor dann ein Gedicht entlassen ist, hat es wirklich viele, viele Kontrolldurchgänge von mir selber passiert, dass es dann so ist, dass ich sagen kann: Dafür stell' ich mich hin. Das heißt nicht, es muss ein gelungenes Gedicht für andere sein, aber es heißt: Ich stelle mich mit diesem Gedicht hin. Es ist ein von mir verfasstes Gedicht, für das ich mich auch von mir aus schimpfen lasse oder loben lasse, aber – sozusagen – es kann für mich stehen, es soll für mich stehen.

Und es hat auch etwas damit zu tun, dass ich die Gedichte durchaus auch für mich selbst schreibe. Ich schreibe meine Gedichte auch für mich selbst, ich hab' das einmal so … das Bild gehabt, das sind so die Haltegriffe durch den Tag. Also, weil – man wird ordentlich durchgerüttelt, man wird wirklich dauernd durchgerüttelt, man braucht nur irgendwelche Nachrichten-Portale aufschlagen, eine Tagezeitung, egal was auch immer, mit wem reden, und eigentlich – sozusagen ... was bietet dann Halt? An seinem Abend kann man völlig, völlig matsch in der Birne sein, hilfe-, hilfeschreiend nicht mehr einschlafen können, oder man hat sozusagen irgendwas, wo man sich festhält. Das kann was – auch Gelesenes sein, aber natürlich – sehr oft war's in meinem Lebn ein Gedicht oder eine Notiz zu einem Gedicht oder, wie gesagt, darum arbeite ich ja auch dauernd an Gedichten seit dem Zeitpunkt, wo ich akzeptiert habe von mir selber: „Ja, ich bin Lyriker!“.

Das war nicht immer so. Ich hab' da äußerste Zweifel gehabt, ob ich überhaupt Lyriker sein will und kann. Ich hab' nach '89 mir gedacht, na ja, eigentlich eine wesentliche Funktion meiner Art von Dichtung sich für die Gesellschaft zu engagieren und, und … Das hat sich jetzt erledigt, ja – es gibt nicht mehr den Ost-West-Konflikt, es gibt nicht mehr den Warschauer Pakt, also es gibt alle diese ... Szenarien, nicht, … wo man sich auch geschärft hat, gerieben hat, '68, Einmarsch des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei, also wo ich immer aufgestanden bin, sofort, emotional auch gegen Militarismus, ja, oder gegen Unterdrückung, gegen Unterjochung oder – egal – die NATO-Kriege, egal, was es war, und da war '89 so eine Zäsur: Das, was ich mit Gedichten kann, ist eigentlich jetzt für mich erledigt. Und ich werde wahrscheinlich keine Gedichte mehr schreiben. Und dann war ich selber überrascht: Die Gedichte sind in mein Leben nur so eingesickert, langsam. Plötzlich hatte ich wieder Gedichte liegen, die ich nicht weggeworfen habe – ich hab' viel weggeworfen in meinem Leben. Und dann sind sie … so bin ich wieder zum Lyriker geworden, indem die Gedichte liegen geblieben sind und nicht mehr weggeworfen wurden und – ja, auch immer mehr wurden, und jetzt hab' ich eine ganze Menge davon, viel mehr, als ich je in meinem Leben publizieren werde können. Das macht nichts, ich glaub', da werden sich dann andere vielleicht drum kümmern wollen. Und ich würd' mich freuen, wenn ich auch was zurücklassen kann, was Sinn hat.

1 Fernsehinterview mit Katja Gasser – abrufbar unter der Adresse
https://www.youtube.com/watch?v=dcD4igo63No&t=815s

2 Gerhard Ruiss: Single Swingers. Gerettete Texte. edition selene: Wien 2003, Seite 26 (Das Gedicht erschien erstmals 1987 in der Wiener „herbstpresse“)

3 Gerhard Ruiss: Kanzlerreste. Das Kanzlerneueste. Kanzlergedichte 2018-2023. Edition Aramo, Buchrückseite

4 selfmadekanzler. Aus dem Gedichtband „Kanzlerreste“, Seite 108 (Edition Aramo 2023)

5 Gerhard Ruiss: Blech. edition art science. reihe lyrik der gegenwart. St. Wolfgang 2020, Seite 90

 

 

Impressum  Letzte Änderung:  So., 7. Jan. 2024

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