Deutsch als Fremdsprache
Veröffentlicht im literarischen Journal Palmbaum, Jena 2011
Unbehelligt von der Wirklichkeit knete ich mir meinen Mann zurecht. Es spielt keine Rolle, dass mein wirklicher Mann neben mir im Bett schläft, oder genauer: neben mir schlafen würde, wenn er nicht so schnarchte. Auf dem Tisch bei der Couch im Wohnzimmer, auf die ich aus diesem Grund Nacht für Nacht auswandere, knete ich mir meinen eigentlichen Mann.
Mein Knetmann schnarcht nicht, er ist ganz leise, und nur, wenn ich es wünsche, wird er laut, denn er liegt nicht neben mir, sondern auf mir drauf (wenn mir danach ist), oder in der Badewanne, und ich darf zuschauen und Schaum auf seine Schultern tupfen.
Seine Schultern knete ich mir kräftig, was sonst, und auch den Rest seiner Arme bilde ich in genau der Zeichnung aus Muskeln und Sehnen, die ich notwendig finde, die ich anfassen muss, wenn ich nicht verrückt werden will (man wird in der Wirklichkeit so oft verrückt, weil man nicht anfassen darf, was man sieht). Mit meinem Knetmann passiert mir das nicht. Den nehme ich, ganz zart, verweile einen Moment in der Ellenbeuge, umgreife sein Handgelenk, doch es ist zu breit für meine kleinen Hände, meine Fingerkuppen berühren sich nicht, berühren nur seine Haut, die rau ist und fest und hungrig.
Dann gehe ich ihm an die Seiten, die ich Flanken nenne, wie bei Pferden; so schön wie bei Pferden gestalte ich seine Flanke, elastisch, lasse Platz für ein kleines Tal, über dem die Luft kreisen kann, ziehe feinste Härchen, schräg darüber forme ich die Brust, stipse zwei etwas dunklere Stupser hinein, lege ein wenig festeres, krauses Haar dazwischen, dunkelbraun (dafür nehme ich Wolle), und freue mich an dem Duft aus den Achseln, den ich nicht mit den Händen kneten muss, weil ich ihn schon weiß.
Höher jetzt. Am Schlüsselbein vorbei, das ich nur andeute, weil es zu verletzlich ist, um sich in den Vordergrund zu rücken, ganz entzückend ist dieses Schlüsselbein, das ich knete, darüber der Hals, noch kräftig, aber nicht hart, sondern flexibel, und immer gewahr. Die Lippen lasse ich erst einmal aus, die kenne ich noch nicht; Gleiches gilt für die Ohren und das Haar, und die Augenbrauen skizziere ich nur rasch (dünne Ritze mit dem Fingernagel), als wolle ich ihnen Gelegenheit geben, sich zu heben. Bei den Augen stöhne ich, die sind mir zu schwer! Die schaffe ich nicht, wende mich wieder ab, fast ein wenig beschämt, senke kurz meine eigenen Lider, und greife stattdessen beherzt seinen Po mit der Falte darin und den leichten Einbuchtungen an den Seiten, die ahnen lassen, wie leicht und beschwingt dieser Mann von der einen Sekunde zur anderen springt, von einem Thema zum nächsten, von einem Gespräch in die Tat (und zurück!), fasse ihm an die Schenkel darunter, die nicht zu viel verraten und nicht zu wenig wollen. Amüsiere mich mit den Füßen und Zehen, diesen ganz besonderen Füßen, denen man die Knochen ansieht, wenn sie sich bewegen, und sie bewegen sich gern, diese Füße, sogar im Schlaf!
Nun ruhe ich aus.
Mein Knetmann gefällt mir.
Ich schaue zu, wie er lebendig wird. Ich höre, wie er mir Sachen ins Ohr flüstert, die mir noch niemand geflüstert hat. Ich spüre, wie er meine Hand nimmt, die so noch keiner genommen hat. Doch am meisten erregt mich, dass er verstehen will – unbehelligt von der verdammten Wirklichkeit! Er will es wirklich wissen. Ich werde weich. Ich merke, wie mein Knetmann anfängt, sich aus mir seine Knetfrau zu kneten. Ich beobachte, wie mein richtiger Mann unwirklich wird, vor meinen Augen verschwimmt, in weite Ferne rückt, während ich wirklich werde unter den Händen des Knetmannes. Der lächelt dazu, er versteht das alles, er versteht ohnehin alles, und was er nicht versteht, ist nur die Kälte. Ich gebe auf und gebe ihm nach, gebe mir selbst nach, denn ich bin es ja, die ihn geknetet hat. Es ist nichts Schlimmes dabei, denke ich noch, immer weicher werdend, mich selbst zur Rolle legend. Ich werde eine immer dünnere Knetschlange, die meint, ausprobieren zu müssen, wie dünn sie sich rollen lassen kann, die Hände sind die Knete sind die Hände, Künstler und Material fließen ineinander, je dünner die Knetschlange wird… noch dünner… und es ist nichts Schlimmes dabei… Ich bin ja nur… Knete.
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