Café D@F

Café D@F

Suche nach Seiten

 

 

Deutsch als Fremdsprache

Katharina Körting

Der Titel steht am Schluss

Der Ort: Ein Bahnhof, der Bahnhof in Salzwedel

Die Zeit: Jetzt (heute oder morgen, vielleicht übermorgen, mag auch gestern gewesen sein oder vor anderthalb Wochen)

Die Person(en): Ein Schlafender, ein Erwachender, ein Reiseunlustiger, (und ich)

Das Möbel: Ein Bett, was sonst

Die Aktion: schläft, träumt, fährt, zupft (Gänseblümchen?)

Der Titel: Steht am Schluss, falls der Zug fährt


Das erste, was auffällt, ist sein Bauch. Ein mächtiger Hügel. Hebt sich und senkt sich. Er atmet. Er lebt. Er schläft. Er könnte ein Kriegsheimkehrer sein, oder ein Krisenflüchtling, oder ein überarbeiteter Koch auf der Suche nach Urlaub. Es ist Sommer, er braucht keine Decke, braucht nur mich, bilde ich mir ein, damit ich einen Grund habe, da zu sein, ihn zu beobachten, zu dokumentieren: Ich sehe was, was du nicht siehst.

Ich sehe was?

Rauch. Der Mann liegt noch, doch raucht. Das Bett steht schon lange da, wurde für genau für ihn, den Fehlreisenden, auf den Bahnhof gestellt. Ich rieche den Rauch, wo kein Feuer ist, sondern nur eine billige Filterzigarette, die mir nicht mal schmecken würde, wenn ich noch rauchte. Trotzdem habe ich Lust. Der Geruch schmeckt mir. Ich verstehe, dass er das braucht, das raucht. Rauchen brauchen fehlt mir nicht, schmeckte mir auch nicht, als ich noch rauchte. Brauchen schmeckt nie.

Er setzt sich im Bett auf, zieht ein letztes Mal, wirft das stinkende Ding fort, lässt es in den Bahnhof qualmen. Niemand stört ihn dabei, denn ich gucke ja nur.

Ich sehe: Seine Güte. Steckt irgendwo bei seinen Geldscheinen in der Geldbörse. Er hat sie verloren. Ich sehe: Er muss sich die Zeit nicht stehlen, nur sich selbst verhehlen, vielleicht, dass er im Bahnhofsbett liegt.

Er steht auf und streckt sich. Ich sehe seinen Ständer, doch er fasst nicht mal hin, greift auch nicht nach seinem Smartphone, denn er hat keines, hat gar kein Fon. Gibt ein kehliges, zugleich brustiges Geräusch von sich, ein Uuaaaaah. Er hat gut geschlafen, er hat genug geschlafen, er musste im Traum nicht auf der Hut sein wie ich, die ihn träumt.

Er sieht mich nicht.

Er könnte mein Vater sein, hätte ich einen anderen, hätte ich keinen. Er könnt mein Mörder sein.

Ich sehe: Er braucht dringend einen Kaffee und ein Brötchen, so ein einfaches, weißes, mit dick Butter und Käse. Er könnte mein Mörder sein. Ich habe genug davon. Ich gehe zum Netto-Container in der Nähe, dort gibt es früh Brötchen und Kaffee.

Hinter der Backshoptheke sind sie alle nett, heute auch. Ich kaufe zwei Kaffee und zwei Käsebrötchen und bringe alles zum Bahnhof.

Er ist noch da. Steht vor dem Abfahrtplan, studiert die Zeiten. Ich sehe: Er hat einen Termin mit der Zeit. Er hat noch nie gebettelt, hat noch nie aufs Atmen verzichtet. Er steht mit seinem mächtigen Bauch vor dem ausgebleichten Plan und kämmt sich die Haare, barfuß. Die Kaffeebecherpappen sind zu dünn, mir brennen die Finger. Ich glaube, ich erwarte keine Dankbarkeit, aber ich bin mir nicht sicher.

Ich stelle ihm die Kaffeebecher ans Bett, da steht sein Rucksack, der sieht praktisch aus, nicht so dreckig, wie ich erwartet hätte, und lege die Käsebrötchentüte aufs Kopfkissen.

Ich hätte jetzt auch Lust auf Kaffee, aber das ist seiner.

Plötzlich kann ich nicht mehr. Lasse mich aufs Bett sinken, zu unruhig, um aufzustehen. In dem Moment möchte ich nie mehr aufstehen, weil er das verstehen würde.

„Vermeiden Sie es auch zu verreisen?“

Seine Stimme ist überraschend gepflegt, gleitet über die Bartstoppeln, darüber braune Augen, in die ich vorsichtig mein Nicken gebe.

„Sind Sie stumm?“, fragt der Mann. Bringt mich zum Lachen. Sein Gesicht ist zerknittert, vom Schlaf, von den billigen Zigaretten, von den vermiedenen Reisen, von den Bahnhofsbetten. „Für mich?“ Er zeigt auf den Kaffee, nippt daran. „Heiß! Das auch?“ Die Brötchen. Ich nicke wieder, er beißt und kaut und schmeckt. Der Käse ist noch nicht verschwitzt, es ist früh am Morgen, sie haben gerade erst geschmiert, bei Netto, die 400-Euro-Frauen. Er isst schnell, ohne zu schlingen, bietet mir nichts an. Packt seine Sachen in den Rucksack, den praktischen Rucksack, findet keine Schuhe. „Immer klauen sie einem die Schuhe, im Schlaf“, murrt er, „können sie nicht mal was Anderes von mir nehmen? T-Shirts habe ich zwei, die gibt’s überall, aber Schuhe? In meiner Größe?“ Er zeigt seine Füße und wackelt mit den langen Zehen. „Ich muss los“, erklärt er mir. Er muss mir nichts erklären. Er könnte mein Vater sein. Er könnte mein Mörder sein.

Er könnte kein Niemand sein. Niemand ist ein Niemand.

„Bleiben Sie noch?“ Ich zucke mit den Schultern. „Hier wird ein Bett frei.“ Nun grinst er. Wendet sich ab. Wir hören die Ansage für den einfahrenden Zug, der aus Uelzen kommt und nach Magdeburg will. Dann ist er weg.

Ich wische die Backshopkrümel vom Bahnhofsbett und knülle den Müll von Becher und Tüte in den Bahnhofsmülleimer. Den zweiten Becher hat er nur zur Hälfte geschafft. Er ist keiner, der mit tropfendem Kaffeebecher einen Zug besteigt. Wer Reisen vermeidet, kleckert nicht gern in der Öffentlichkeit.

Ich trinke von seinem Kaffee. Da ist ein Flatsch Butter dabei. Ich schmecke Kaffeebecher mit Kaffee mit Butterkäsebartstoppelgeschmack von einem, der mein Vater sein könnte, wenn ich keinen hätte. Mein Mörder ist er nicht.

Und das ist Der Titel: Mein Mörder ist er nicht

 

Impressum  Letzte Änderung:  Mo., 28. Okt. 2024

Zugang für Stammgäste Seitenübersicht